Die stille Revolution
Der Soto-Zen-Buddhismus schlägt eine stille Revolution vor. Sie beginnt mit einfachem Hinsetzen, nicht mit großen Gesten.
Dies ist eine der beiden Hauptschulen des Zen in Japan. Meister Dōgen Zenji brachte sie im 13. Jahrhundert nach Japan.
Im Mittelpunkt stehen zwei Schlüsselideen, die zusammenwirken: Die erste ist Shikantaza, was „einfach sitzen“ bedeutet, ohne zu versuchen, etwas zu erreichen.
Die zweite Idee ist, dass Praxis und Erleuchtung dasselbe sind und nicht zwei verschiedene Dinge. Dies wird Shusho-itto genannt.
Dieser Artikel untersucht diese Realität – von ihren Anfängen mit einem reisenden Mönch bis hin zu der Frage, wie wir sie in unserem täglichen Leben und bei der Meditation nutzen können.
Dōgens Reise nach Japan
Eine Suche nach Dharma
Die Geschichte des Soto-Zen in Japan ist die Geschichte von Eihei Dōgen (1200–1253). Er war ein kluger junger Mönch mit einer großen Frage, die niemand in Japan beantworten konnte: Wenn wir alle bereits die Buddha-Natur besitzen, warum müssen wir dann so hart üben?
Diese tiefen Zweifel veranlassten ihn, um 1223 eine gefährliche Reise nach China zu unternehmen. Er wollte die wahren Lehren finden.
Begegnung mit Meister Rujing
In China fand Dōgen schließlich, wonach er suchte, als er Meister Tiantong Rujing traf. Dieser Lehrer zeigte ihm die einfache, aber kraftvolle Praxis des Shikantaza.
Eines Tages schalt Rujing im Meditationsraum einen Mönch, weil er schlief. Er rief: „Zazen ist das Ablegen von Körper und Geist!“ Als Dōgen das hörte, erlebte er ein tiefes Erwachen. Er hatte seine Antwort gefunden.
Soto in Japan etablieren
Dōgen kehrte 1227 nach Japan zurück, bereit, sein Wissen weiterzugeben. 1244 erbaute er das Kloster Eihei-ji, einen abgelegenen Bergtempel, der zu einem der beiden Haupttempel des Soto-Zen wurde.
Er gründete eine Gemeinschaft, die sich ganz der Zazen-Praxis widmete. Seine Tradition besteht bis heute ununterbrochen fort.
Zeitleiste: Der Aufstieg des Soto-Zen
- 1200: Dōgen wird in Kyoto geboren.
- 1223: Dōgen reist nach China, um authentische Lehren zu suchen.
- 1227: Dōgen kehrt nach Japan zurück und beginnt, Zazen zu lehren.
- 1244: Dōgen errichtet den Eihei-ji-Tempel in der Provinz Echizen.
- 1253: Dōgen stirbt und hinterlässt viele tiefgründige Schriften.
Shikantaza: Herz der Praxis
Was „einfach nur sitzen“ bedeutet
Shikantaza ist der Kern des Soto-Zen. Der Name bedeutet „einfach sitzen“ oder „das Ziel des Sitzens erreichen“. Es ist eine Praxis ohne Ziel.
Dies ist keine Methode, um einen besonderen Zustand zu erreichen oder den Geist zu leeren. Der Zweck besteht einfach darin, ganz im Hier und Jetzt zu sein und sich auf das zu konzentrieren, was gerade passiert.
Wir versuchen nicht, Gedanken zu stoppen. Wir lassen sie kommen und gehen, ohne uns in ihnen zu verfangen, wie beim Beobachten von Wolken am Himmel. Denken ist die natürliche Tätigkeit des Geistes; unsere Übung besteht darin, uns nicht von den Geschichten mitreißen zu lassen.
Es gibt kein Ziel, sich friedlich oder glückselig zu fühlen. Schon das Sitzen selbst, mit vollem Bewusstsein, zeigt unsere Buddha-Natur.
Ein praktisches erstes Treffen
Hier ist eine einfache Anleitung zum Einstieg in die Shikantaza-Praxis, die auf jahrelanger Praxis und der Vermittlung an andere basiert.
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Die richtige Haltung finden: Stabilität ist das Wichtigste. Sie können auf einem runden Kissen, einer Bank oder einem Stuhl sitzen. Setzen Sie sich auf einem Kissen in das vordere Drittel, sodass Ihre Knie den Boden berühren und Ihr Gesäß eine stabile Dreipunktbasis bildet. Setzen Sie sich auf einem Stuhl nach vorne, ohne sich zurückzulehnen, mit beiden Füßen flach auf dem Boden. Halten Sie Ihre Wirbelsäule gerade, aber nicht steif, und ziehen Sie Ihr Kinn leicht ein.
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Die Augen: Halten Sie beim Shikantaza die Augen leicht geöffnet. Schauen Sie in einem Winkel von etwa 45 Grad nach unten und richten Sie Ihren Blick auf den Boden ein paar Meter vor Ihnen. Konzentrieren Sie sich nicht auf etwas Bestimmtes. Das hilft Ihnen, präsent zu bleiben und Schläfrigkeit oder Tagträume zu vermeiden.
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Die Hände: Machen Sie mit Ihren Händen das kosmische Mudra. Legen Sie Ihre rechte Hand mit der Handfläche nach oben in Ihren Schoß und dann Ihre linke Hand mit der Handfläche nach oben darauf. Lassen Sie Ihre Daumen sich leicht berühren und bilden Sie ein sanftes Oval. Halten Sie diese Position knapp unterhalb Ihres Bauchnabels.
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Der Atem: Verwenden Sie keine spezielle Atemtechnik. Lassen Sie Ihren Atem natürlich fließen. Spüren Sie, wie er von selbst ein- und ausströmt. Sie können das Gefühl des Atmens sanft wahrnehmen, aber versuchen Sie nicht, es zu kontrollieren.
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Der Geist: Das ist der wichtigste Teil. Wenn Gedanken, Gefühle oder Empfindungen auftauchen, nimm sie einfach wahr, ohne zu urteilen. Erkenne, dass sie da sind, und lenke deine Aufmerksamkeit dann sanft zurück auf deinen Körper – das Gefühl deiner Wirbelsäule, des Kissens unter dir, deiner Hände in Position. Nimm sie wahr und lass dann los.
Häufige Missverständnisse
Viele Menschen missverstehen Shikantaza. Wir wollen ein paar Missverständnisse ausräumen.
- Bei dieser Übung geht es nicht darum, Gedanken zu stoppen. Es geht darum, unseren Umgang mit Gedanken zu ändern, damit sie uns nicht kontrollieren.
- Eine Meditationssitzung voller Ablenkungen ist kein Misserfolg. Jeder Moment des Sitzens, egal, was in deinem Kopf vorgeht, ist reine Übung. Wichtig ist, dass du präsent bist.
- Auch wenn Sie sich manchmal ruhig fühlen, dient Shikantaza nicht nur der Entspannung. Es ist eine Übung der Wachsamkeit und der klaren Präsenz, nicht des Abschaltens.
Übung ist Erleuchtung
Jenseits spiritueller Ziele
Das Einzigartigste an Dōgens Lehre ist, dass Praxis und Erleuchtung dasselbe sind. Er nannte dies Shusho-itto.
In unserer zielorientierten Kultur sehen wir Meditation oft als ein Mittel, um etwas zu erreichen – weniger Stress, mehr Frieden oder zukünftige Erleuchtung. Das ist, als würde man ein Rennen laufen, nur um eine Medaille zu gewinnen.
Dōgen stellt diese Idee auf den Kopf. Übung ist kein Mittel zum Zweck, sondern der Zweck selbst. Es ist eher wie Tanzen. Man tanzt nicht, um an einem bestimmten Punkt auf der Tanzfläche anzukommen, sondern um des Tanzes willen. Jeder Schritt bringt das Tanzen voll zum Ausdruck.
Auf die gleiche Weise bringt jeder Moment des Zazen Ihre erleuchtete Natur vollständig zum Ausdruck.
Ein Akt des Glaubens
Das Praktizieren von Shikantaza wird zu einem Akt des Glaubens. Es ist der Glaube an die eigene Buddha-Natur, die bereits vorhanden ist.
Man sitzt nicht, um ein Buddha zu werden. Laut Dōgen sitzt man als Buddha.
Das ändert alles. Übung ist kein Kampf, sich selbst zu heilen. Sie bestätigt die Ganzheit, die bereits da ist.
Das Nicht-Denken-Paradoxon
In seinem Haupttext über Zazen, dem Fukanzazengi, schreibt Dōgen: „Denken Sie an das Nicht-Denken. Wie denken Sie an das Nicht-Denken? An das Nicht-Denken.“
Dies ist kein Rätsel, das es zu lösen gilt. Es ist eine direkte Anweisung.
„Denken“ bedeutet, dass Ihr Geist voller Etiketten und Geschichten ist. „Nicht-Denken“ versucht, dies zu stoppen, was nur weiteres Denken bedeutet. „Nicht-Denken“ geht über beides hinaus, wo Sie im Bewusstsein ruhen, bevor sich Konzepte bilden. Es ist der Geist Ihrer Haltung selbst.
Soto und Rinzai Zen
Um Soto besser zu verstehen, vergleichen wir es mit Rinzai Zen, der anderen großen Schule Japans. Sie haben dieselben Wurzeln, unterscheiden sich aber in ihren Methoden.
Eine Vergleichstabelle
Besonderheit | Soto-Zen (曹洞宗) | Rinzai Zen (臨済宗) |
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Kernpraxis | Shikantaza (einfach sitzen) | Kōan-Selbstbeobachtung und Zazen |
Weg zur Erkenntnis | Allmähliche Kultivierung; Übung ist Erleuchtung. | Betont plötzliche Einsichten ( Kensho ). |
Rolle des Lehrers | Leiten und bezeugen Sie die Praxis des Schülers. | Fordert den Schüler aktiv mit Kōans heraus. |
Ansatz | Wird oft als „Bauern-Zen“ beschrieben – sanft, beständig und zugänglich. | Wird oft als „Samurai-Zen“ beschrieben – dynamisch, intensiv und konfrontativ. |
Berühmtes Zitat | „Den Weg zu studieren bedeutet, das Selbst zu studieren.“ – Dōgen | „Wenn du den Buddha triffst, töte ihn.“ - Linji (Rinzai) |
Zen heute leben
Leben als Zendo
Dōgen lehrte, dass Zazen zwar zentral ist, sein Geist sich aber auf jeden Moment des Lebens erstrecken sollte. Der Meditationsraum ist nicht nur ein Raum; Ihr ganzes Leben ist der Meditationsraum.
Das Ziel besteht darin, die gleiche einheitliche, vorurteilsfreie Aufmerksamkeit aus der Meditation in die täglichen Aktivitäten einzubringen.
Überall üben
Hier erfahren Sie, wie Sie dieses Bewusstsein in Ihren Alltag integrieren können, basierend auf Erfahrungen in Klöstern und im Alltag.
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Arbeitsmeditation (Samu): Betrachten Sie alltägliche Aufgaben als Übung. Wenn Sie Geschirr spülen, spülen Sie einfach nur Geschirr. Spüren Sie das warme Wasser auf Ihren Händen. Sehen Sie Spiegelbilder in Seifenblasen. Hören Sie das Geräusch von Tellern. Hetzen Sie nichts; seien Sie ganz bei dem, was Sie tun.
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Bewusster Konsum: Essen Sie einfach. Legen Sie Ihr Handy weg und schalten Sie den Fernseher aus. Probieren Sie jeden Bissen. Denken Sie darüber nach, wer es angebaut, transportiert und zubereitet hat. So wird aus einer Routinehandlung eine Handlung der Verbundenheit und Dankbarkeit.
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Aktives Zuhören: Hören Sie im Gespräch mit Ihrem ganzen Wesen zu. Planen Sie Ihre Antwort nicht, während Ihr Gegenüber spricht. Nehmen Sie die Worte vollständig auf. Das schenkt Ihnen volle Präsenz.
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Gehmeditation (Kinhin): Üben Sie achtsames Gehen, insbesondere zwischen den Sitzphasen. Gehen Sie langsam und bewusst und passen Sie Ihre Schritte an Ihre Atemzüge an. Spüren Sie, wie Ihre Füße den Boden berühren. Das ist Meditation in Bewegung.
Mit Zweifeln arbeiten
Die Anwendung dieser Ideen ist in unserer hektischen Welt schwierig. Unruhe, Ablenkung und Zweifel kommen auf.
Die Art und Weise, mit ihnen zu arbeiten, ist dieselbe wie bei Shikantaza. Wenn Sie bemerken, dass Ihre Gedanken abschweifen oder Sie sich frustriert fühlen, geben Sie es einfach zu. „Ah, da ist Frustration.“
Dann lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit, ohne sich selbst zu kritisieren, sanft wieder auf das, was Sie tun. Dieses ständige, sanfte Zurückkehren ist die Übung.
Kennzahlen und Texte
Für ein tieferes Studium fallen im Soto-Zen zwei Figuren auf.
Dōgen Zenji (1200–1253): Der Gründer. Sein Meisterwerk ist das Shōbōgenzō (Schatzkammer des wahren Dharma-Auges), eine Sammlung tiefgründiger philosophischer Essays über Realität, Zeit und Praxis.
Keizan Jōkin (1264–1325): Der „zweite Gründer“. Keizan trug dazu bei, Soto-Zen in ganz Japan zu verbreiten und es für die breite Öffentlichkeit zugänglicher zu machen. Sein Schlüsseltext ist das Denkōroku (Lichtübertragung), Geschichten über die Erleuchtungserlebnisse seiner Zen-Vorfahren.
Die Tiefe der Präsenz
Der Soto-Zen-Buddhismus ist kein Glaubenssystem, das man annehmen muss, und auch keine Techniken, die man beherrschen muss. Er lädt Sie ein, zu entdecken, was bereits da ist.
Es ist der direkte Weg, hier und jetzt zu sein, ohne etwas hinzuzufügen oder wegzunehmen.
Die Praxis des Shikantaza ist das Herzstück dieses Weges. Es ist der einfache, radikale und kraftvolle Akt des bloßen Sitzens.
Wir laden Sie ein, sich einen ruhigen Ort zu suchen, und sei es nur für fünf Minuten. Nehmen Sie Platz, strecken Sie Ihre Wirbelsäule und seien Sie einfach präsent. Erleben Sie die Praxis selbst.